Auf dem deutschen Pflegetag hat ein Hausarzt und Ärztefunktionär in einer Session zur Heilkundeübertragung bezogen auf die Schwierigkeiten bei der Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten an die Pflege behauptet, die Pflege sei auch zum Teil selber daran schuld, dass sich diese Diskussion so lange zieht. Schließlich hätte die Pflege selbst mal viele Tätigkeiten abgegeben, die sie heute gerne zurück hätte und die auch die Attraktivität des Berufes heben würde.
Diese Kausalkette löst in mir großen Widerspruch aus. Und den will ich kurz darlegen. Ich war dabei, als Ende der achtziger Jahre die Pflege (und es war ausschließlich die Pflege in den Krankenhäusern) zu einem neuen und erstarktem Selbstbewusstsein kam. Die Zutaten dieser Entwicklung waren:
- ein Personalmangel
- Arbeitsverdichtung
- und die zunehmende Bedeutung des Pflegeprozesses.
Gerade Letzteres hat eine große Emanzipationsbewegung der Pflegeberufe ausgelöst, weil ein Instrument verbindlich eingefordert wurde, mit dem sich Pflege aus der Perspektive der Profession darstellen ließ. In der Folge haben sich Pflegefachpersonen immer häufiger geweigert, Tätigkeiten zu übernehmen, die nicht in diesen Pflegeprozess einzahlten.
Dazu gehörten folgende Tätigkeiten:
- Röntgenbilder von A nach B zu tragen
- Sonographiebefunde abholen
- Blutabnahmen
- Krankenhausbetten reinigen
Nicht dazu gehörten:
- Komplexe Wundversorgungen
- Diabetes überwachen
- Kreislauf sicherstellen
- Katheterisierung
- Ernährung im Blick behalten
- Mobilisation
Das sind zu großen Teilen nun genau die Maßnahmen, die heute im Zusammenhang mit Heilkundeübertragung diskutiert werden. Aber aus irgendwelchen Gründen ist im Laufe der Jahrzehnte übrig geblieben, dass Pflege die Blutabnahme abgelehnt habe, und der Funktionär schließt daraus, die Pflege sei selber schuld, dass die Situation so ist, wie sie jetzt ist.
Dazu muss man sagen, dass die Blutabnahme nicht wegen der Komplexität der Handlung abgelehnt wurde (das kann jeder!), sondern weil Anordnungen auf bettenführenden Stationen häufig vorsahen, dass morgens um 6:00 Uhr bei 29 von 30 Patienten Blut abzunehmen sei und eine Pflegefachpersonen im Grunde genommen zwei Stunden damit beschäftigt war, diese Blutabnahme durchzuführen. Der Erkenntnisgewinn der Blutabnahmen dabei war offenbar so gering, dass – nach dem Pflegefachpersonen die Durchführung abgelehnt haben – ziemlich sofort die Zahl der angeordneten Blutabnahmen auch deutlich auf das wirklich notwendige Maß zurückging.
Was damals also als pflegeentlastende Maßnahmen offenkundig notwendig und vernünftig war, soll heute als Argument herhalten, warum es so schwierig sei, heilkundliche Tätigkeiten an die Pflege zu übertragen.
Und das ist – mit Verlaub – Quatsch: denn das, was heute als Maßnahmen im Sinne der Heilkundeübertragung an die Pflege diskutiert wird, war früher ganz selbstverständlich Aufgabe der Pflege und ist ihr vor allem durch das Leistungsrecht weggenommen worden. Es geht also am Ende nicht um die Durchführung dieser Maßnahmen, sondern das Recht, sie abzurechnen.
Mein Punkt: Pflegefachpersonen bringen die Kompetenzen für die Tätigkeiten mit, die im Rahmen der Heilkundeübertragung vorgesehen sind. Nicht nur das: sie haben eine pflegefachliche Perspektive auf diese Handlungsfelder, die sich von der ärztlichen Betrachtung unterscheidet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht verunsichern lassen – wir können das nicht nur, es sind sogar unsere Aufgaben.