Leiharbeit in der Pflege ist ein Reizthema, dem mitunter viel Emotionalität gewidmet wird. Für Arbeitgeber ist Leiharbeit eine kostspielige Lösungsvariante für einen Mangel an Fachkräften. Für die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege sind Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer oft eine zusätzliche Anforderung, da sie in die täglichen Routinen erst eingearbeitet werden müssen. Soweit, so nachvollziehbar. Es gibt aber noch eine andere Dimension von Leiharbeit in der Pflege: Diese ist für viele Kolleginnen und Kollegen oft attraktiver, weil besser bezahlt und mehr Freizeit.
Gerade vor diesem Hintergrund fällt mir zunehmend auf, dass die Intensität der in der Politik geführten Auseinandersetzung um die Leiharbeit in keinem Verhältnis zu der Größenordnung der Inanspruchnahme von Leiharbeit steht. Da kommt der Verdacht auf, dass bei der Diskussion, die auf ein Verbot der Leiharbeit abstellt, im Kern andere Mechanismen im Vordergrund stehen als die vorgeschobenen. Wenn ich als Soziologe auf die Diskussion schaue, sehe ich hier auch einen asymmetrischen Konflikt zwischen Arbeitgebern und deren Lobbyverbänden und den Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern. Dieser Konflikt hat seinen Ursprung dort, wo Max Weber Macht als jene Chance bezeichnet, mit der innerhalb einer sozialen Beziehung der eigene Willen auch gegen Widerstreben durchgesetzt werden soll. Die bestehenden Machtverhältnisse zur erhalten, heißt auch, Pflegefachpersonen in Abhängigkeiten zu halten. Leiharbeitsverhältnisse mit ihren derzeitigen Ausprägungen für Pflegefachpersonen bedeuten ein höheres Maß an Selbstständigkeit, als man zum Systemerhalt auszuhalten bereit ist.
Mehr Autonomie für Pflegefachpersonen kennen wir bereits schon z.B. bei Pflegeberaterinnen und Pflegeberatern. Solange diese Selbstständigkeit nur von einer kleinen Gruppe von Pflegefachpersonen beansprucht wird, ist das offensichtlich unproblematisch. Wenn aber alle Pflegefachpersonen nach mehr Selbstständigkeit streben würden, würde das zu einer deutlichen Verschiebung im Gefüge führen. Gehälter würden individuell verhandelt werden. Work-Life-Balance hätte ein anderes Gewicht. Und Arbeitgeber – also die Auftraggeber – müssten ihre Attraktivität täglich unter Beweis stellen. Die Diskussion hatten wir schon mal an anderer Stelle, als die freiberufliche Tätigkeit von Pflegefachpersonen mit der Zuschreibung der „Scheinselbstständigkeit“ etikettiert wurde und damit dieser Weg für Kolleginnen und Kollegen eigentlich zugebaut wurde. Nun gehen sie eben den Weg über die Leiharbeit und auch das repräsentiert eben eine Anomalie im System, die es zu unterbinden gilt.
Wie wird das denn dann weitergehen? Perspektivisch wird eine Community Health Nurse z.B. auch ein höheres Maß an Autonomie einfordern, als das in Regelarbeitsverhältnissen vorstellbar ist. Mithin zahlt das Verhältnis zur Leiharbeit bereits jetzt auf einen Prozess ein, der den Weg zur flächendeckenden Etablierung von Community Health Nursing eher beschwerlicher werden lässt: Wenn wir nicht aushalten, dass sich Pflegefachpersonen selbstständig machen, verlieren wir ganz wichtige Potentiale und Ressourcen für unsere zukünftige Versorgung. Wir können es uns als Gesellschaft und Berufsgruppe gar nicht erlauben, durch eine Verbot von Leiharbeit gegebenenfalls den Verlust weiterer Pflegefachpersonen zu riskieren.