Man kann nicht nicht-politisch sein.


„Politik ist öffentlicher Konflikt von Interessen unter den Bedingungen von öffentlichem Machtgebrauch und Konsensbedarf“ definiert der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann den Politikbegriff. Wir neigen dazu, Politik auf den parlamentarischen Betrieb und seine Prozesse zu reduzieren. Aber Politik ist etwas, dass wir jeden Tag auch selbst betreiben: Interessenausgleich gegen Widerstände und mit dem Ziel, einen Konsens herzustellen.

Auch die Annahme, man sei unpolitisch, lässt sich übersetzen als fehlendes Interesse an bestimmten Sachverhalten, die dann eben von anderen gestaltet werden. Die Untätigkeit schafft damit auch Fakten, ist also politisch wirksam. Insofern ist die Annahme, dass Pflege zum Beispiel unpolitisch sei, zunächst falsch. Hinter der Annahme verbirgt sich aber vielleicht der Wunsch, Pflege möge sich mehr in den parlamentarischen Betrieb einmischen, zum Beispiel durch Teilhabe an Gesetzgebungsprozess. In der Regel ist damit dann der Appell verbunden, sich in Organisationen zu engagieren, die die beruflichen Interessen gegenüber dem Gesetzgeber und der Gesellschaft bündeln.

Politisch wirksam sind Pflegende aber auch Alltags. Und zwar jederzeit: denn in den bestehenden Machtverhältnissen in der Gesundheits – und Sozialversorgung ist jede Form der Emanzipation (oder eben Nicht-Emanzipation) von diesen Machtverhältnissen immer auch politisch. Verbände weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass Pflegende viel mehr machen könnten, als ihnen zugetraut wird. Community Health Nurses oder Advanced Nurse Practicioner sind Beispiele für diese Überzeugung.

Die Effizienzerwartungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft verhindert aber, dass sich Pflegefachpersonen von den bestehenden Machtverhältnissen emanzipieren können. Wo Kostenträger, Arbeitgeber, Politik und Partiukularinteressen die Regeln bestimmen, bleibt der Pflege kaum eine Chance. Dabei hätte die Pflege auch die Macht, sich durchzusetzen. Aber nach Jahrzehnten der leeren Versprechungen setzt so etwas wie eine Ohnmachtserfahrung eine und führt dazu, dass es der Pflege an Selbstwirksamkeitserwartung mangelt: egal, was wir machen, es bringt ja eh nix.

Die gute Nachricht ist: Selbstwirksamkeitserwartung lässt sich lernen – steht und fällt aber auch mit Vorbildern. Pflege ist nicht unpolitisch, sie ist allenfalls mutlos. Und diesen Mut, den bestehenden Verhältnissen zu widersprechen, den müssen wir wieder aufbringen. So wie einst Florence Nightingale, die sich in einem von vorgesetzten Männern dominierten Handlungsfeld allein als Frau und Schwester durchzusetzen wusste. Und das ist hoch-politisch.